In diesem Teil von OHA & Friends sprechen wir mit Simon Dörken und Nicolas Schröter von der Besonderen Platte. Die Besondere Platte ist seit ihrem Beginn (2016) ein fester Bestandteil jeder Osthang Saison –– so auch in diesem Jahr: Morgen, am 02.09.2021 kommen alle Besucher des kleinen Freitags in den Genuss ganz besonderer Platten. Wir haben mit Simon und Nico unter anderem darüber gesprochen, wie die Pandemie das Verhältnis von digitaler und analoger Welt durcheinander bringt und wie man das beste daraus macht.
Was ist die Besondere Platte?
Die Besondere Platte ist im Januar 2016 aus einem gemeinsamen Musikhören von Simon Dörken und Ivo Kohtz entstanden und findet seitdem in regelmäßigen Abständen im Hoffart Theater in Darmstadt statt. Den Startschuss der Besonderen Platte machte kein anderer, als Simon Dörken persönlich. Bekannt für seine Leidenschaft und sein ausgeprägtes Gespür in Sachen Musik, verzauberte er das Publikum mit ganz persönlichen Schätzen aus seiner Plattensammlung. So entstand ein Event für Musikliebhaber mit dem Grundgedanken, DJs von der Bühne wegzuholen und mit ihnen in ihre ganz privaten Lieblingsplatten einzutauchen und der Musik sowie der Geschichte dahinter Raum zu geben. Die Musik wird dabei ausschließlich von Schallplatten gespielt und über eine High-End Hifi Anlage genossen. So können die Gäste die Platten und die zugehörigen Geschichte genießen und bei einem gemeinsamen aktiven Musikhören ein wenig der Realität und ihrem Alltag entfliehen.
Simon & Nico: "Respektvoller Umgang mit der Musik & dem Künstler: Das ist die Besondere Platte. Gemeinsames, respektvolles, aktives Musikhören und dabei dem Alltag entfliehen. "
Wie ist die Besondere Platte entstanden?
Simon: "Die Idee war eigentlich, dass man einfach in einem Café oder in einer Bar einen Abend gestaltet und zusammen Platten durchhört. Dann stand der Plan und es stellte sich die Frage, wo wir das eigentlich machen. Dann sind wir aufs Hoffart gekommen, sind dahin und der Andi hat gesagt, 'ja das machen mer!' Die erste Veranstaltung im Januar 2016 fand dann auch direkt im Hoffart statt. Das jetzige Konzept der Veranstaltungsreihe Besondere Platte, dass man quasi neben den Gästen sitzt, und ich den Abend moderiere hat sich daraus entwickelt. Wir wollten private Musik, die die Leute eben auch zuhause hören."
Nico: "Am Anfang haben wir uns das Ganze auch etwas freier vorgestellt und haben auch gar nicht damit gerechnet, dass so viele Leute kommen. Wir haben eher gedacht, naja vielleicht liegt man dann da mit 10 Leuten auf nem Teppich und hört einfach Musik und die Leute sagen etwas dazu. Aber es war von Anfang an immer gefüllt – ich war so überrascht, wie viele Leute direkt beim ersten Mal da waren und, dass die dann auch bei allen weiteren Malen gekommen sind. Bis wir sogar Events hatten, zum Beispiel mit Thomas Hammann, die dann so voll waren, dass keiner mehr rein gepasst hat. Da war es dann klar, dass wir das einfach so weiter machen. Und das hat uns direkt von Anfang an ein richtig gutes Gefühl gegeben. Es war so gelungen, dass wir uns gar nicht erst die Frage gestellt haben, ob wir es weiter machen oder nicht. Wir haben es einfach gemacht."
Simon: "Wir hatten damals, als es so durch die Decke ging auch Anfragen nach dem Motto: Ihr müsst größer werden, damit mehr Leute rein passen, und hier und da. Für mich stand aber immer fest, dass die Besondere Platte nur im Hoffart funktioniert. Der Charme & die Atmosphäre."
Was macht die Besondere Platte besonders?
Nico: "Wir waren auch 2016 direkt im ersten Jahr mit der Besonderen Platte am Osthang. Und da haben wir es auch genauso gemacht, wie im Hoffart, aber schnell gemerkt: Das funktioniert einfach nicht so. Die Leute unterhalten sich usw. Im Hoffart gibt es eben diese begrenzte Räumlichkeit und der ausschlaggebende Punkt ist, dass die Gäste sitzen wie in einem Publikum und man muss auch an dem Publikum vorbei, wenn man raus will. Und deshalb ist auch das Bewusstsein da, ähnlich wie im Kino, dass man eben bewusst da sitzt und die Musik nicht als Hintergrundmusik wahrnimmt sondern eben als Mainact. Und das funktioniert unserer Meinung nach nur im Hoffart."
Simon: "Die Besondere Platte steht auch dafür, wie wir privat Musik konsumieren. Wenn ich zuhause Musik höre, setze ich mich hin und gebe der Musik auch den Raum und mache nichts nebenbei. Achtsames Musikhören. Unsere Musikgenres sind durch die unterschiedlichen Gäste so breit gefächert. Ich selbst komme aus dem elektronischen Bereich und die Besondere Platte hat auch mich für weitere Musikgenres geöffnet und mich diesen näher gebracht, weil ich überall mal meine Fühler rein stecken konnte."
Nico: "Wenn du fragst, wer hinter der Besonderen Platte steckt, dann ist das tatsächlich auch ganz wichtig, dass die Leute, die zur Besonderen Platte kommen und die Gäste, die wir einladen, machen das kostenlos. Die machen das einfach, weil sie Bock drauf haben. Und das ist etwas ganz anderes, als wenn du jetzt anfangen würdest, das wie bei einer Party über ein offizielles Booking laufen zu lassen. Dadurch, dass die Leute es freiwillig machen und so Lust drauf haben, wirken sie auch ganz automatisch mit. Wir geben da auch keine Vorgaben, die Leute überlegen sich das selbst und machen sich da auch super viele Gedanken, welche Platten sie mitnehmen und auswählen."
Simon: "Die machen sich echt verrückt. Man hat ja auch nur eine begrenzte Anzahl an Platten, die man spielen kann. Da ist das echt ein hartes Los zu entscheiden, welche man einpackt.
Man weiß auch nie, was genau in der Veranstaltung passiert, weil es ja auch für einen Plattensammler oder DJ eine ganz neue Situation ist. Der Künstler präsentiert bei uns seine Lieblingsmusik. Das ist super intim und der Künstler lässt quasi seine Hose runter und das wird respektiert und niemand wird bloßgestellt oder ausgelacht und das ist ganz toll. Auch für das Publikum und unsere Generation ist es super schwer, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sich nicht von seinen Emotionen ablenken zu können.
Jede Besondere Platte ist ein weiß beschriebenes Blatt."
Wie hat die Pandemie eure Veranstaltung beeinflusst?
Nico: "Wegen Corona können wir ja leider keine Besondere Platte im Hoffart machen. Deshalb haben wir Kontakt zum Radio Darmstadt aufgenommen. Ich habe mit Hannes Michels bereits eine Radioshow milk & honey. Und in dieser ganzen Überlegung, was man machen kann während Corona jetzt, hatte ich das schon die ganze Zeit im Kopf. Aber es hat sich jetzt so logisch aufgedrängt, daraus eine Radioshow zu machen, wo man es nicht vor Ort machen kann."
Simon: "Wir hatten überlegt, was machen wir jetzt und haben dann zuerst mit Streams begonnen. Aber ich finde das mit den Livestreams auch sehr inflationär und weiß nicht, ob ich das so weiter machen möchte. Ich bin sowieso kein Freund des Internets und stehe der Sache immer sehr skeptisch gegenüber von daher finde ich die Lösung einer Radioshow für die Besondere Platte am besten. Das hat dann wenigstens ein bisschen was analoges."
Nico: "Der ganze Abend baut ja auf dieser Idee auf: Im ganzen Konzept der Besonderen Platte ist immer das Ziel: Weg von dem schnelllebigen, kurzlebigen, immer verfügbaren. Deshalb zeichnen wir auch nie die Besondere Platte auf. Es ist der Abend und dann ist vorbei und es gibt die Playlist zum Nachhören. Aber das was dabei erzählt wird, ist exklusiv für die Leute, die live dabei sind. Das finde ich persönlich auch sehr sympathisch und das macht es glaube ich auch aus und interessant. Die Musikqualität ist uns so wichtig und die ist im Hoffart durch die Anlage und Räumlichkeit einfach überragend. Das ist halt leider die größte Einbuße, durch die Radiosendung. Sympathisch wäre dann im Auto oder im kleinen Küchenradio, da wo man eben einfach Radio hört. Das ist der Nachteil am Stream, der meistens über Laptopboxen gehört wird."
Was verbirgt sich hinter dem Namen UNREAL Music Session?
Simon: "Für mich ist die Digitalwelt nicht real und die Besondere Platte ist eine reale Veranstaltung. Und das ist die Brücke. In der Zeit von Corona, wo wir uns nicht treffen können gibt es halt diese Möglichkeit sich über das Netz zu bedienen. Aber das ist halt nicht real für mich."
Was bedeutet die Coronakrise für euch und die Musik- und Kulturszene?
Simon: "Das Problem mit der Achtsamkeit, alles wird noch mehr ins Digitale verlagert."
Nico: "Persönlich hat sich für uns nicht so viel verändert, da ich generell nicht mehr groß auf Parties gehe. Klar Konzerte fehlen extrem. Aber an unserem Musikkonsum hat sich nichts verändert. Ich habe vorher Schallplatten gehört und höre auch jetzt noch Schallplatten. Was mir richtig fehlt ist es in Plattenläden zu gehen. Irgendwie fehlt da was! Jeder der Platten sammelt und diese Sucht hat, weiß was ich meine. Ich gehe in einen Laden, um Sachen zu finden, die ich noch nicht kenne oder auch sonst nicht finden würde. Man hat das Gefühl, man hat etwas gefunden, dass man noch nicht kennt. Das hat gefehlt. Das ist ja auch das schöne am Vinyl, dass man immer das Gefühl hat, man hat etwas gefunden, was man anders nicht gefunden hätte oder nicht kennt."
Simon: "Die große Angst, die ich habe ist , dass die Leute sich jetzt daran gewöhnt haben, Schallplatten digital zu bestellen und so die Plattenläden aussterben lassen. Also bitte unterstützt die Plattenläden. Du hast eine Interaktion und einen Filter da sitzen, der weiß was gut ist und man hat die Interaktion mit dem Plattenverkäufer – das hat man einfach nicht, wenn man Platten online bestellst. Unterstützt Plattenläden!"
Was ist euer Tipp für Musikfans während der Pandemie?
Simon: "Eigentlich ganz einfach. Platten die man schon hat anhören, Platten die man haben möchte im Plattenladen kaufen. Und wenn man doch schon digital hört, dann vielleicht nicht die großen Streaminganbieter nutzen, sondern direkt über die Bandcamp Seiten bei den Künstlern zu kaufen, denn da bleiben 85% direkt beim Künstler und nur 15% bleibt bei Bandcamp."
Nico: "Mein Tipp dazu: Und man kann sich da sogar ein eigenes Profil erstellen und dann Bands und Künstlern folgen und bekommt dann darüber auch wieder neuen Input."
Simon: “Musik ist ein immaterielles Kunstwerk, das erst als Tonträger zum greifbaren Gegenstand wird.”
Nico: "Ja das stimmt: Das schöne an einer Platte ist ja, man hat etwas in der Hand. Was echt ist, real ist und halt nicht weg, wenn du den Computer aus machst, sie steht bei dir im Regal und sieht schön aus, coole Infos auf dem Cover, Beilageblätter, die Fotos von der Band zeigen etc. Man hat also auch etwas davon, wenn man die Platte gerade mal nicht anhört."
Was bedeutet für euch der Osthang?
Simon: "Eine grüne Oase im gefüllten Stadtleben."
Nico: "Was ich hier am Osthang am besten finde ist, dass es eben auch so breit aufgestellt ist. Es ist kein Club, keine Bar, sondern es ist so offen und etwas, was in einem freien Raum im öffentlichen Raum stattfindet und nicht hinter verschlossenen Türen. Da ich mich auch nicht als klassischen DJ bezeichne ist für mich ganz persönlich der Osthang mit der einzige Ort in Darmstadt, wo ich sage, dass ich gerne meine Platten spiele und auflege. Normalerweise legt man auf, damit die Leute tanzen. Ich habe solche Tanzmusik fast gar nicht, auch wenn ich die auch mag, aber meine Musik ist eben etwas anders. Ich habe hier am Osthang in den letzten Jahren mit die schönsten Events gehabt, die mir am meisten Spaß gemacht haben, wo ich aufgelegt habe. Weil ich das Gefühl habe, meine Musik passt hier einfach hin. Ich würde sogar sagen, es gibt eigentlich keinen Ort in Darmstadt, wo meine Musik besser hinpasst, als hier an den Osthang. Das hat einfach immer super gut gepasst."
Welches Potenzial seht ihr im Osthang?
Nico: "Also ich bin ja Landschaftsarchitekt und ich finde solche Orte, die wirst du niemals planerisch schaffen können. Mir ist schon klar, dass das hier aus einem Architekturprojekt erstanden ist und somit auch vom Papier kommt. Aber meiner Meinung nach ist der Prozess das wichtige und der Osthang hat sich so entwickelt über die Zeit und dass das angenommen wird, hängt immer damit zusammen, wie die Leute den Ort wahrnehmen und nutzen. Und ich sehe hier keine Veränderung. Ich kann mir den Osthang nur so vorstellen, wie er aktuell ist. Der Ort ist einfach rund für mich. Musik mäßig Cool wäre, wenn man den Ort mehr ausnutzen würde und überall Boxen auf dem Ort verteilen und die Fläche mehr ausnutzt, und nicht mehr nur so zentriert. So kleine Überraschungen."
Was kann man jetzt tun?
Simon: "Hoffart, Künstler und Selbstständige unterstützen –– Wir kündigen ja immer auf den gängigen Plattformen an, was wir so machen. Und wühlt euch mal durch den Besondere Platte Blog. Das ist ein Musikhistorisches Ereignis. Ein krasses Archiv. Da ist von der ersten Veranstaltung an alles dabei. 600 Platten aus dem Herzen der Gäste.
Nico & Simon: "Musik schafft Inseln, um dem Alltag zu entfliehen. Einzigartig in der jungen Kulturszene, mal achtsam oder meditativ zu sein und leise zuzuhören. Aktiv Teilhaben bei der besonderen Platte und den Künstler respektieren. Das finden wir schön und ist uns wichtig und das schätzen die Leute und die Künstler auch sehr."
Vielen Dank an Simon und Nico von der Besonderen Platte für das tolle Interview. Wir freuen uns schon sehr auf einen wunderbaren Kleinen Freitag mit ganz besonderen Platten!
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